31. März 2023 Thema: Blog, Innenpolitik Von Peggy Schierenbeck
Jedes Jahr im Frühling erwarten Fachleute und Journalist:innen mit Spannung die neue Polizeiliche Kriminalstatistik, kurz: PKS. Darin sind die von der Polizei registrierten Straftaten enthalten und diese liefern uns erste Aufschlüsse über das Kriminalitätsgeschehen in Deutschland. Endlich haben wir die Zahlen für das Jahr 2022!
Die Polizei hat 2022 insgesamt rund 5,6 Millionen Straftaten registriert. Das sind 11,5 Prozent mehr als 2021. Interessant ist jedoch der Vergleich mit 2019, dem Jahr vor der Pandemie. Dann sind es nur 3,5 Prozent mehr. Wenn ausländerrechtliche Verstöße von der Gesamtzahl der Straftaten abgezogen werden, dann bleiben rund 5,4 Millionen registrierte Fälle übrig und der Anstieg beträgt 10,2 Prozent im Vergleich zu 2021. Es ist bedauerlich, dass die Zahlen insgesamt wieder zugenommen und sogar die von 2019 übertrumpfen.
Insgesamt gab es rund 226.000 ausländerrechtliche Verstöße im Jahr 2022. 2021 waren es nur rund 147.000. Bei ausländerrechtlichen Verstößen handelt es sich um Straftaten gegen das Aufenthalts-, das Asyl- und das Freizügigkeitsgesetz. Das sind zum Beispiel die illegale Einreise (etwa ohne erforderliches Visum) oder der illegale Aufenthalt (jemand bleibt über die Dauer eines befristeten Visums in Deutschland). Es kann sich aber auch um Verstöße gegen die räumliche Beschränkung des Aufenthalts handeln (wenn sich jemand z. B. während eines laufenden Asylverfahrens nur im Bundesland Niedersachsen aufhalten darf, diese Person regelmäßig in ein anderes Bundesland fährt) oder um Verstöße gegen das Verbot der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit (trotz fehlender Arbeitserlaubnis arbeiten) handeln. Diese ausländerrechtlichen Verstöße haben um 53,8 Prozent zugenommen. Der Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine hat zu Fluchtbewegungen aus der Ukraine in die Europäische Union und auch nach Deutschland geführt. Aber auch andere Fluchtbewegungen, z. B. weiterhin aus Afghanistan, Syrien oder dem Iran, können hier eine Rolle spielen.
Nicht nur die ausländerrechtlichen Verstöße haben zugenommen, sondern auch die Zahlen von noch mehr Straftaten bzw. Straftatengruppen. Die Wirtschaftskriminalität verzeichnet ein Plus von 42,5 Prozent, die Bedrohungen nahmen um 28,1 Prozent zu und auch die Raubdelikte wuchsen um 26,8 Prozent an. Betrug bzw. Computerbetrug mittels rechtswidrig erlangter unbarer Zahlungsmittel nahm um 22,5 Prozent zu. Vergewaltigung, sexuelle Nötigung und sexueller Übergriff im besonders schweren Fall einschließlich mit Todesfolge verzeichnete einen traurigen Anstieg um 20,1 Prozent. Die Straftatengruppe Diebstahl nahm insgesamt um 20 Prozent zu. Die Untergruppe Taschendiebstahl wuchs um 35,1 Prozent an, die Untergruppe Ladendiebstahl um 34,3 Prozent, der Diebstahl von unbaren Zahlungsmitteln um 29 Prozent und der Wohnungseinbruchsdiebstahl um 21,5 Prozent.
Es konnten aber auch Rückgänge verzeichnet werden: Das Erschleichen von Leistungen (z. B. Mitfahrt im öffentlichen Personenverkehr ohne Fahrschein) schrumpfte um 19,8 Prozent. Die Straftatengruppe Cybercrime nahm um 6,5 Prozent ab, wobei die Taten Datenveränderung, Computersabotage um 31,7 Prozent und das Ausspähen, Abfangen von Daten einschließlich Vorbereitungshandlungen und Datenhehlerei um 11,5 Prozent kleiner wurden, während der Computerbetrug um 5,2 Prozent zurückging. Nötigungen nahmen um 6,1 Prozent und Rauschgiftdelikte um 5,6 Prozent ab.
Mit der Corona-Pandemie und den damit verbundenen Einschränkungen des öffentlichen Lebens ist die Kriminalität in Deutschland in den Jahren 2020 und 2021 zurückgegangen. 2022 wurden einschränkende Maßnahmen reduziert oder sind weggefallen und das öffentliche Leben begann sich zu erholen. Dadurch sind wieder mehr Tatgelegenheiten entstanden. Zum Beispiel ist es für Täter:innen einfacher, eine Tasche zu stehlen, wenn Menschen mit Taschen draußen sind. Oder wir verreisen wieder mehr oder gehen wieder verstärkt zur Arbeit ins Büro, was Gelegenheit für Wohnungseinbrüche schafft.
Auch die Zahl der kindlichen und jugendlichen Tatverdächtigen hat bedeutend zugenommen. Manche vermuten dahinter das verstärkte Nachholen einer entscheidenden Phase dieser Altersgruppen, nachdem sie zwei Jahre auf viel verzichten mussten. Nun könnte es sein, dass sie es nachholen, sich auszuprobieren und Grenzen auszutesten.
Jedoch ist zu beachten, dass nicht jede Veränderung im Kriminalitätsgeschehen vor dem Hintergrund der wegfallenden Maßnahmen gesehen werden darf. Entscheidend ist auch, dass die Polizeiliche Kriminalstatistik uns nur verrät, welche Taten bei der Polizei angezeigt geworden sind. Diese Zahl lässt sich durchaus beeinflussen, zum Beispiel wie oft wir eine Straftat anzeigen (sofern wir Lai:innen sie denn erkennen). Es spielt auch eine Rollte, wie intensiv die Polizei kontrolliert (z. B. ist der Besitz von Drogen nur durch entsprechende Kontrolle zu entdecken). Auch die statistische Erfassung oder das Strafrecht selbst können sich verändern, was z. B. beim Straftatbestand der Bedrohung der Fall ist, da der § 241 StGB erweitert wurde. Die Kriminalstatistik bietet also kein reales Bild der Kriminalität, sondern bildet nur eine Annäherung an die Realität ab.